Michail Bulgakow
Михаил Афанасьевич Булгаков
"Feigheit ist die
grösste Sünde!"
(Michail Bulgakow)
Vor dem Bulgakowhaus in Moskau
Uliza Bolschaja Sadowaja 10,
Wohnung 50
Die sehr schöne Website des
Moskauer Bulgakow - Museums
verwandelte sich in ein hässliches
Rudiment. An den Inhalten wurde
herumzensiert, der Fotoanteil ist
unverständlich reduziert.
Innenhof
Im Treppenhaus
Vor der Tür des Bulgakow-Museums
Die Wohnung 50
Der Meister und Margarita
Originalseite des Romans
In dieser Wohnung arbeitete
Michail Bulgakow bis zuletzt
an seiner Menschheitsdichtung
DER MEISTER UND MARGARITA
Michail Bulgakow wurde am
15. Mai 1891 in Kiew geboren.
Er starb am 10. März 1940 in Moskau.
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Nach einem Medizinstudium
arbeitete er zunächst als Landarzt, zog aber dann nach
Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen.
Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und
hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu
leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht
aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke
wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht.
Michail Bulgakow und Stalin
In den bisherigen Interpretationen der Motive, die Bulgakow veranlassten u.a. das Stück
ADAM und EVA [oder den Roman
"Der Meister und Margarita"] zu schreiben, wurden zwei
im Akzent unterschiedliche Aspekte entwickelt.
Die sowjetische Literaturwissenschaftlerin Marietta
Tschudakowa sieht in der Beziehung Bulgakows zu
Stalin vor allem eine "Versuchung der Klassik",
einer Verführung, der Bulgakow erlegen sei,
weil er geistig in der Welt Karamsins,
Puschkins und Gogols lebte und zu
seinem "Souverän" ähnliche Be-
ziehungen suchte,wie diese sie zu
ihrem entwickelt hatten.
Die Hauptursache der Tragödie
Bulgakows sei nicht die Hetzkampagne
der RAPP und ihrer Nachfolger gegen
den Schriftsteller, die Absetzung seiner
Stücke und das faktische Publikationsver-
bot in seinen letzten Lebensjahren, sondern
sein widerspruchsvolles Verhältnis
zu Stalin gewesen.
Ausgehend von den Briefen Bulgakows
an Stalin,... kommt Marietta Tschudakowa
zu der Schlussfolgerung,
Michail Bulgakow habe gehofft, Stalin
werde grossmütig seine Werke geneh-
migen, wenn er sein erster Leser und Ge-
sprächspartner würde. In dieser Illusion habe
Bulgakow auch das Telefongespräch Stalins mit
Pasternak bestärkt, in dem Stalin über den
verbannten Dichter Ossip Mandelstam gesagt
hatte: "Aber das ist doch ein Meister,ein Meister!"
Nach diesem Stalin-Wort, begründete Frau Tschudakowa
schlüssig, hat Bulgakow schließlich den Namen
des autobiografischen Helden seines Romans
"Der Meister und Margarita" gewählt.
Und überzeugend weist sie weiter nach,
daß Bulgakow diesen Roman bis zur Absetzung
von BATUM [seinem Stück über den jungen
Stalin] auch mit dem Hintergedanken schrieb,
Stalin würde sein "erster Leser" sein, eigenes in
ihm wiedererkennen und das Ganze billigen.
BATUM selbst, das Stalin unbedingt
lesen musste, habe Bulgakow als ein
Mittel angesehen, um endlich
mit Stalin ins Gespräch zu kommen,
was dieser ihmin dem Telefongespräch
vom April 1930 versprochen hatte.
Erst nach dem Verbot von BATUM [1939]
entstand der Schluss von
"DerMeister und Margarita":
Nicht Voland [der Satan] hat den Roman des Meisters
gelesen, sondern Jeschua [Jesus] und der ent-
scheidet das Schicksal des Meisters.
Der Roman wird umadressiert vom
erhofften "ersten Leser" auf
den künftigen.
Der Literaturwissenschaftler Lew
Schubin kommt etwa zu der gleichen Schluss-
folgerung. Doch er sieht in Bulgakows Weg zu BATUM
eine bewußte Wahl aus Einsicht in die gegebene historische Situation seiner Zeit: Er machte Kom-
promisse,schmeichelte Stalin - ähnlich wie Mo-
liere dem Sonnenkönig -, um sein
Hauptwerk zu retten.
Gleich der Eidechse opferte er in der
Not denSchwanz, wissend, daß er
nachwachsen würde.
Für seine taktische Illusion musst er
bitter bezahlen. Bulgakow hatte die
Erstfassung seines Romans über
den Teufel 1929 verbrannt, weil er
fürchtete, auch dieser Roman
könnte "verhaftet"werden wie
seine Novelle "Hundeherz" .
Schubin schlussfolgert:" Seine Me-
thoden zum Schutz und zur Rettung
von Manuskripten machte er zum The-
ma künstlerischer Werke.
Unter diesem Gesichtspunkt muß man
das höchste Gerichtsurteil,das über das Werk
des Meisters ertönt, auch alseine Selbstein-
schätzung des eigenen Weges betrachten.
Er ist einverstanden anzuer-kennen,daß sein Weg
und seine Methoden des Selbstschutzes
und der Rettung von Manuskripten zu
Kompro-missen führen.
Die Zeit, sagt uns der Künstler Michail Bulgakow
gleichsam, ist so, daß es ohne einen "Bund"mit
VOLAND [Satan] keine Rettung gibt.
Aber dieser Bund muß
sich auf das Kunstwerk auswirken;
deshalb sind der Künstler und sein
Werk des Lichtes nicht würdig, sondern
nur der Ruhe. So lautet das strenge
Selbsturteil Bulgakows.
Die Geschichte scheint geneigt zu
sein, das zu überprüfen und den
Schriftsteller zu rehabilitieren.
Ralf Schröder - Michail Bulgakow STÜCKE 2
Verlag Volk&Welt 1990 / S. 516 - 518
Der Meister und Margarita
Мастер и Маргарита
Motto des Romans:
"Nun gut, wer bist du denn? -
Ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will
und stets das Gute schaff."
[Goethe, FAUST]
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Michail Bulgakow ging erst siebenundzwanzig Jahre
nach seinem Tod in die Weltliteratur ein. Sein grosser Nachlassroman"Der Meister und Margarita", an dem
der Schriftsteller von 1928 bis zu seinen letzten
Lebenstagen gearbeitet hatte,erschien erstmals
1966/67 in der sowjetischen Literaturzeitschrift
"Moskwa". Das war eine zeitgeschichtliche
literarische und zugleich politische Sensation.
Völlig unerwartet tauchte aus ver-
drängter Vergangenheit eine neue
Menschheitsdichtung auf,die von
den Widersprüchen des sowjetischen
Staatssozialismus unter Stalin ausging
und in der Reihe solcher Werke wie
Goethes "Faust", Dostojewskis Roman
"Die Brüder Karamasow" und Tho-
mas Mann erst nach Bulgakows Tod ent-
standenen Roman "Doktor Faustus"
angesiedelt ist.
Und das Licht des neuentdeckten "Fixsterns"
in diesem weltliterarischem Planetensystem
barg zugleich einen fundamentalen ideologischen
Sprengstoff angesichts des damaligen geistigen
Aufbruchs nach dem sowjetischen "Tauwetter",
der Kritik an der "Magie des Personenkults"
und an Stalins Gewaltmethoden auf
dem XX.Parteitag der KPdSU 1956...
[Ralf Schröder]
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Internationale Poster
zu Inszenierungen von
Michail Bulgakows:
DER MEISTER UND MARGARITA
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Der Kater Behemoth
Meine Geschichte mit
Michail Bulgakow und
DER MEISTER UND MARGARITA
Im Winter 1977 spielten wir im Meininger Theater
Michail Bulgakows Drama "Kabale der Scheinheiligen"
in einer DDR-Erstaufführung..
Der Verlag Volk und Welt- Herausgeber und
Lektor der Bücher Michail Bulgakows ,Ralf Schröder,
besuchte uns in der Vorbereitung der Inszenierung
zu einem Vortrag über das tragische Leben Michail
Bulgakows in der Diktatur Stalins.
Seitdem waren wir befreundet. Meine Inszenierungen von
kritischen sowjetischen und russischen Autoren Alexander
Wampilow, Wladimir Tendrjakow, Fjodor Dostojewski,
Maxim Gorki, Juri Trifonow, Lew Ustinow u.a. begleitete
Ralf Schröder immer wieder mit Vorträgen
.Im Winter 1985 erarbeitete ich eine Theaterfassung nach
MichailBulgakows berühmtem Roman "Der Meister und
Margarita". Zu der Zeit stand meine Schauspielgruppe
und ich im Dresdner Theater schon seit1981 stark
unter Druck des Ministeriums für Staatssicherheit.
Die STASI-Akten belegen, dass
der Dresdner Intendant meine
Meister und Margarita - Adaption
eigenhändig der MfS-Bezirksverwaltung
übergab. Eine Inszenierung in dem staatlichen
Theater wurde postwendend abgelehnt.
Wir brachten „MARGARITA - Szenen
nach Michail Bulgakows Roman„Der Meister und
Margarita“ im Sommer 1985 mit Hilfe der sächsischen
evangelischen Kirchenleitung privat im Dom
zu Meißen heraus.
Die Akten nennen 16 Spitzel während des Theaterabends.
Weitere Vorstellungen
wurden vom MfS unterbunden.
Im Spätherbst zeigten wir unsere Arbeit
dem Bulgakow - Übersetzer Thomas Reschke und
seiner Frau in der Wohnung unseres
Meister-Akteurs.
Danach "zerstreute" uns das MfS, das
heisst,ich wurde entlassen und war ein
halbes Jahr arbeitslos.
…Im Frühjahr 1993 waren wir mit den
"MARGARITA"-Szenen wieder im Dom
zu Meißen.1996 und 2002 spielten wir
meine Fassung unter dem Titel "Der Ball des
Satans" in polnisch/ deutschen Ensembles....
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Der Meister und Margarita MfS Dresden.pd[...]
PDF-Dokument [90.1 KB]
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Mein Freund, der Slawist
RALF SCHRÖDER [1927-2001]
Lektor und Herausgeber der Werke
Michail Bulgakows
im DDR-Verlag VOLK&WELT
Michail Bulgakow
DER MEISTER UND MARGARITA
Im Moskau der dreißiger Jahre ist
der Teufel los:Ein gewisser Voland,
Professor für Schwarze Magie,
gibt zusammen mit seinen drei
seltsamen Mitarbeitern einige Vorstel-
lungen im Varietétheater.
Dabei stellt er die Moskauer Gesellschaft der
Stalinzeit gründlich auf den Kopf, er foppt,
blamiert und schädigt alle.
Nur zwei entgehen dem Chaos: Ein gemütskranker
Schriftsteller, der sich"Meister" nennt und
seine Geliebte Margarita...
Der Meister und Margarita
erscheint vordergründig als heitere Satire,
die eine ganze Truppe teuflischer Gesellen
mit schnellem Slapstick, die Verlogenheit,
Trägheit, Raffgier und ähnliche Sünden
bloßstellen lässt.
Die eigentliche Kritik ist jedoch hinter der
satirischen Oberfläche versteckt.
MEISTER VOLAND - DER SATAN
Moskau auf dem Patriarchenteich-Boulevard.
Meister Voland, der Satan selber,
führt unerkannt für seine zwei Gesprächs-
partner Berlioz [Literaturfunktionär]
und Besdomny [Lyriker] ein Grundsatzgespräch:
Voland: "Aber jetzt beschäftigt mich eine
Frage:Wenn es keinen Gott gibt, wer lenkt dann
eigentlich das menschliche Leben und überhaupt
den ganzen Ablauf auf der Erde?"
"Der Mensch selber", beeilte sich Bes-
domny ärgerlich diese nicht eben sehr
klare Frage zu beantworten.
"Entschuldigung", antwortete der
Unbekannte sanft, "um das alles
zu lenken,bedarf es schliesslich
eines genauen Planes für einen
halbwegs angemes-
senen Zeitraum.
Gestatten Sie zu fragen, wie soll ein
Mensch das alles lenken, wenn er nicht
nur der Möglichkeit ermangelt, einen
Plan selbst für eine so lächerliche
Frist von sagen wir ,tausend Jahren
aufzustellen, sondern auch nicht ein-
mal sicher sein kann,was ihm selber
der morgige Tag bringt?
Wirklich" - derUnbekannte wandte
sich Berlioz zu -,"stellen Sie sich vor,
Sie zum Beispiel fangen nun an,
sich und auch andere zu lenken und
Anordnungen zu treffen, Sie kommen
sozusagen auf den Geschmack und
plötzlich kriegen Sie...kch...kch...
ein Lungensarkom..."
Der Ausländer [Voland] schmunzelte
genüsslich, als bereite ihm der Gedanke
an das Lungensarkom Vergnügen, " ja,
ein Lungensarkom" wiederholte er, wie
ein Kater blinzelnd, das klangvolle Wort,"
und schon ist es aus mit ihrer Lenkerei!
Kein fremdes Schicksal interessiert sie
mehr, nur noch ihr eigemes.
Ihre Angehörigen fangen an,
Sie zu belügen.
Da wittern Sie Unrat, laufen zu gelehrten
Ärzten, dann zu Kurpfuschern und vielleicht
auch zu Wahrsagerinnen. Wie das erste und
zweite, so ist auch das dritte völlig sinnlos,
das wissen Sie selber. Das Ganze endet
tragisch: Der Mann, der noch vor kurzem
etwas zu lenken wähnte, liegt plötzlich
starr und steif in einer Holzkiste, und seine
Umgebung, wohl wissend, daß nichts
Vernünftiges mehr von ihm zu erwarten
ist, verbrennt ihn im Ofen.
Manchmal kommt es noch schlimmer.
Jemand{Berlioz] hat sich gerade erst
vorgenommen, nach Kislowodsk
zu fahren.Der Ausländer [Voland]
starrte Berlioz mit schmalen
Augen an. - "Eine lächerliche
Sache, sollte man denken,
aber auch das bringt er nicht
zuwege, denn plötzlich
rutscht er aus und gerät
unter die Strassenbahn!
Sie werden doch nicht behaupten,
er selbst habe das so gefügt
ist es nicht richtiger, anzunehmen,
daß ein anderer ihn so gelenkt hat?"
Hier liess der Unbekannte ein selt-
samens Kichern hören...
[Verlag Volk&Welt 1995/S.19-21]
Berlioz rutscht wenig später aus und
gerät unter eine Strassenbahn.
Dabei verliert er seinen Kopf.
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Der Kater Behemoth
Ein "Teufelsroman" im Sozialismus
stalinscher Prägung angesiedelt im
Moskau der 20er/30er Jahre?
Und der Teufel triumphiert mit seinen
Gefährten, mit seiner Magie und Gewalt?
Einer seiner Gehilfen,
Korowjew, scheint
sogar ein ehemaliger
Faust zu sein,der
seine Wette mit dem
Teufel verloren hat.
und ihm nun dienen
muß? Und der Meister
auch ein traditioneller
Faust-Typ,flüchtet ins
Irrenhaus? "Was soll's?"
fragte ein entsetzter Kritiker.
Und ein anderer belehrte:
"Teufel ohne Gegenspieler? -
verzerrte geschichtsphilo-
sophische Konstruktion!"
Doch meist versuchte man, den Roman
als einen "karnevalistischen Spaß?" -
"Meister turbulenter Fabulierkunst",
"Die Possen des Teufels Voland",
"Phantastisches Spiel des Bö-
sen","Großartige Teufelei" -
abzutun,um ihn so in die
abbröckelnde alte Lehr-
meinung zu integrie-
ren und diese nicht "
vom Kopf auf die
Füße"stellen
zu müssen.
Ralf Schröder
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MESSERE VOLAND
Der Satan
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Graffiti im Treppenhaus vor
der Wohnung Bulgakows.
Zu sehen sind u.a.
Meister Voland, Margarita
und der Kater Behemoth
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Miniaturen von Michail Bulgakow über
den Meister und seiner Margarita in
der Wohnung 50
Die Pilatuslegende
Pontius Pilatus richtet
Jeschua Ha Nozri
...Der Meister (in Bulgakows Buch ohne Namen) hat einen Roman über Pontius Pilatus geschrieben. Die vom Meister verfremdete Passionsgeschichte spielt in Jerusalem zur Zeit der Kreuzigung Christi. In gar nicht sehr verschlüsselter Form handelt diese Ebene die Politik und ihre Mechanismen ab. Christus, das ist in Bulgakows Roman Jeschua, wagt, Pontius Pilatus, der unbedingt als Hegemon angesprochen werden will, ketzerisch zu sagen, " (...) daß von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe". Für diese Majestätsbeleidigung wird Jeschua gekreuzigt...
Der Hegemon Pontius Pilatus
Jeschua Ha Nozri
Jeschua zu Pilatus:
"Ich habe...gesagt,
daß von jeder Staatsmacht
den Menschen Gewalt geschehe
und daß eine Zeit kommen werde
in der kein Kaiser noch sonst jemand
die Macht hat. Der Mensch wird eingehen
in das Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit,
wo es keiner Macht mehr bedarf."
[Verlag Volk&Welt 1994/S.40]
Zunächst führt Voland im Roman, als
Vision die Jesus-Pilatus-Geschichte vor,
wie sie seinerMeinung nach als transzenden-
taler Augenzeuge entgegen den späteren
Legenden der biblischen Apostel tatsäch-
lich abgelaufen sei.
Es gibt keine göttliche Vorbestimmung
des Kreuzestodes Jesu zur Entsühnung
der Menschheit und keine Auferstehung.
Ein einsamer Prophet der unzeitgemäßen
Wahrheit und Gerechtigkeit wird ein Opfer
des Cäsarismus im „I. Rom“ in unverkenn-
barer Analogie zum Schicksal des Meisters
im „III. Rom“, dem Moskau Stalins.
Und dieses „Voland-Evangelium“ der
ersten Romanfassungen erweist sich in
den letzten Fassungen von „Der Meister
und Margarita“ als identisch mit dem
Pilatus-Roman des Meisters,d. h. mit
dem neuen Evangelium, das Bulgakow
als poetischer Messias seiner Zeit
verkündete.
Gleichzeitig entlarvt Voland als transzen-
dentaler Kenner der Zukunft den volun-
taristischen Prädestinationsglauben
stalinistischer Planwirtschaft,
indem er Berlioz voraussagt,
daß dieser nicht einmal sein
eigenes Schicksal voraus-
sehen könne, daß eine
Komsomolzin – eine
Straßenbahnfahrerin –
ihn köpfen werde.
Nach Zeugnissen von Zeitgenossen
war einer der Prototypen des Berlioz
der Generalsekretär der RAPP, Leopold
Awerbach (1903–1939),der sich Ende
der zwanziger Jahre zum Diktator
der offiziellen literarischen Mei-nung aufgeschwungen hatte und
besonders auch Bulgakow verfolgte,
aber Ende der dreißigerJahre ein
Opfer des Terrors Stalins gegen
„Abweichler“ von seiner
„Generallinie“ wurde.
Ralf Schröder
(In: Michail Bulgakow: Gesammelte
Werke.Hrsg. und mit literaturgeschichtlichen Anmerkungen versehen von Ralf Schröder.
Bd. 3. Der Meister und Margarita. –
Verlag Volk und Welt, Berlin 1994,
S. 493-514.)
Die Demaskierung der damaligen Moskauer Schickeria, die Niederbrennung ihrer fragwür-
digen Hochburgen, der Weg der Margarita durch Höllenkreise aus Liebe, die Vollendung des
Meisters, seine humanistische Auflösung der
Pilatus-Frage,die kathartische Wirkung seiner Tragödie, die in Analogie zu der des Jeschua
gesetzt ist, auf Iwan Hauslos, den Rußland symbolisierenden Iwan-Dummkopf, der sei-
nen Irrweg als ein Adept eines Russischen Mephistopheles begann, aber dann zu-
nächst erahnte und schließlich nach
dem spontanen Rückgriff auf Kerze
und Ikone zu begreifen beginnt,...
daß die Pilatus-Geschichte seine Schicksals-
frage ist. Das war sie auch für Bulgakow.
Stalin war für ihn ein moderner Pilatus,der
ihn seiner Meinung nach den „Hohepries-
tern“der RAPP wider bessere Einsicht
geopfert habe.
Und Bulgakow
hoffte bis 1939, als er das
Stalin-Stück „Batum“ abschloß,
daß dieser noch den Weg zu ihm
suchen würde, wie es der Roman
„Der Meister und Margarita“ in
bezug auf den historischen
Pilatus im Verhältnis zu
Jeschua postuliert.
Michail Bulgakow
hat sich schrecklich geirrt.
Die Pilatus-Vision wird zur Tagesfrage.
Das Grundmodell Jeschua-Pilatus
wird übergreifend.
Und Bulgakow kann in dieses phantastische
Sujet alles integrieren, was sich später,
nach dem Beginn der Arbeit am Roman,
ereignete – der Kampf der RAPP gegen
die Bulgakowerei, die Ereignisse des
Großen Terrors in den dreißiger
Jahren –, ohne in Allegorismus
zu verfallen.
Das phantastische Sujet greift damit unge-
achtet aller Illusionen in bezug auf Stalin über Bulgakows Zeit hinaus. Die Vision bleibt: Alle voluntaristischen Systeme, die dem Pilatus-
Modell folgen, sind früher oder später
zum Untergang verurteilt.
Ralf Schröder
(In: Michail Bulgakow: Gesammelte Werke.
Hrsg. und mit literaturgeschichtlichen Anmerkungen versehen von Ralf Schröder. Bd. 3. Der Meister und Margarita. – Verlag Volk und Welt, Berlin 1994,
S. 493-514.)
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Werkausgaben
Gesammelte Werke in 13 Bänden,
Hrsg. von Ralf Schröder, Berlin,
Volk und Welt 1994
Prosa
Haus Nr. 13 („№ 13 – Дом Эльпит-Рабкоммуна“) Erzählung, 1922
Tschitschikows Abenteuer („Похождения Чичикова“) - „Poem in zehn Punkten mit einem Prolog
und einem Epilog“, veröffentlicht 1922
Teufelsspuk („Дьяволиада“) Erzählung,
1923 (veröffentlicht 1924)
Die weiße Garde („Белая гвардия“)
Roman,1923–24
Die verhängnisvollen Eier („Роковые яйца“)
Erzählung, 1924
Hundeherz („Собачье сердце“)
Erzählung, 1925
Aufzeichnungen eines jungen Arztes
(„Записки юного врача“) Erzählungen,
1925/27 (Übers. Thomas Reschke;
mehrere dt. Aufl. seit 1972, Volk und Welt,
Berlin; auch 1981 und 1986 in einem Sammelband
zus. mit "Das Leben des Herrn Molière" und dem "Theaterroman") In den "Aufzeichnungen..."
schildert Bulgakow den Ausgangspunkt
seines Lebens und Schaffens,dem er
trotz aller Widersprüche treu geblieben ist.
In dem Fragment gebliebenen Spätwerk
"Theaterroman" (1936/1937) und dem
mit diesem innerlich verbundenen
biografischen Roman
"Das Leben des Herrn Molière"
von 1932/1933 gestaltet er, wie sich
die "Ströme der Aufklärung"
auch unter komplizierten Bedingungen
immer wieder durchsetzen.
Ausgabe in der BRD: Arztgeschichten
gleicher Übers., Luchterhand,
Darmstadt 1972 u.ö. (zuletzt 11. Aufl. 2009)
(„Мастер и Маргарита“) Roman, 1929–39
Theaterroman (teilw. autobiographisch),
deutsch zuerst 1969, Volk und Welt, Berlin.
Neuauflagen.
Theaterstücke
Die Tage der Turbins („Дни Турбиных“) – Schauspiel, Premiere am 5. Oktober 1926
Adam und Eva („Адам и Ева“) – Theaterstück in vier Akten, 1931; zu Lebzeiten Bulgakows weder publiziert noch aufgeführt, erstmals veröffentlicht 1971 (Paris),
sowjetische Erstveröffentlichung 1987
Der verrückte Jourdain („Полоумный Журден“) – Molièriade in drei Akten, 1932
Glückseligkeit („Блаженство“)
Theaterstück in vier Akten, 1933–34; zu Lebzeiten Bulgakows weder publiziert noch aufgeführt,
erstmals veröffentlicht 1966
Iwan Wassiljewitsch („Иван Васильевич“)
Komödie in drei Akten, 1934–35; Umarbeitung des Theaterstücks Glückseligkeit („Блаженство“);
zu Lebzeiten Bulgakows weder publiziert noch
aufgeführt, erstmals veröffentlicht 1965
Don Quijote („Дон Кихот“)
Bearbeitung des Don Quijote von Cervantes
für die Bühne, 1937–38; zu Lebzeiten Bulgakows
weder publiziert noch aufgeführt,
erstmals veröffentlicht 1962
Vor dem BULGAKOWHAUS in Kiew
Michail Bulgakows Grab
auf dem Moskauer
Nowodewitschi Friedhof
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Anna Achmatowa
M. Bulgakow zum Gedenken
Dies hier, es ist fur
dich, statt Rosen auf dein Grab,
Anstatt dir Weihrauch zu entfachen;
Du lebtest so grausam und hast bis zum Ende bewahrt Die gewaltige Kraft der Verachtung.
Du trankst den Wein und scherztest wie sonst keiner,
Und bist in engen Wanden fast erstickt,
Die Schreckensfrau, du
ließt sie zu dir ein
Und teiltest ganz allein mit ihr's Geschick.
Du bist nicht mehr, und alles schweigt jetzt rings,
Von deinem hohen, tiefbedruckten Leben,
Nur meine Stimme ist's, die wie die Flote klingt,
Die Totenklage schweigsam zu erheben.
Wer hatte wohl geglaubt, dass ich Anna, die halb im Wahn, Ich Klageweib langst ausgestorbner Tage,
Ich Schwelende nach langem Feuerbrand,
Die alles verlor, die alle vergessen haben,
Dir nun gedenken muss, dir, der so voller Kraft,
Voll heller Plane willensstark gestritten,
Der du wohl gestern noch mit mir gesprochen hast, Den Schmerz verbergend und des Todes Zittern.
März 1940, Fontannyj Dom
Übersetzt von Eric Boerner